Mann auf Felsen bei Sonnenuntergang

Prostatakrebsfrüherkennung

Die Früherkennungsuntersuchung des Prostatakarzinoms, häufig als Vorsorgeuntersuchung bezeichnet, ist allein aufgrund der Häufigkeit des Prostatakarzinoms (>60.000 neue Fälle pro Jahr in Deutschland), eine für den Mann sehr wichtige Untersuchung. In der medizinischen Literatur sowie in der Laienpresse gibt es eine ausgedehnte Diskussion über das Wann und Wie der Früherkennungsuntersuchung. Insbesondere die Anwendung des PSA-Wertes (Prostata-Spezifische Antigen, ein Blutwert) wird immer wieder zum Thema intensiver Diskussionen. Der aktuelle Standpunkt zum PSA- Screening vieler Fachgesellschaften ist, dass die Früherkennungsuntersuchung unter Zuhilfenahme des PSA-Wertes definitiv Leben rettet, aber dieser Vorteil durch eine hohe Anzahl an sogenannten Überdiagnosen und damit verbunden Übertherapien erreicht wird.

Von welchen Zahlen wird in der medizinischen Literatur gesprochen? Das wahrscheinlich schlechteste Ergebnis zur Früherkennung (Screening) unter Anwendung des PSA-Wertes zeigt die amerikanische PLCO Studie (Andriole GL, Crawford ED, Grubb RL, et al. Prostate cancer screening in the randomized Prostate, Lung, Colorectal and Ovarian Cancer Screening Trial: Mortality results after 13 years of follow-up. J Natl Cancer Inst. 2012; 104:1–8). Hier konnte nach 13 Jahren kein Überlebensvorteil für die gescreenten Männer im Vergleich zu der nicht gescreenten Kontrollgruppe gefunden werden. Auf der anderen Seite wurden jedoch 12% mehr Prostatakarzinome in der Screening-Gruppe diagnostiziert (4.250 von 38.340 in der Screening- vs. 3.815 von 38.345 in der Kontrollgruppe). Geht man davon aus, dass die 435 mehr diagnostizierten Prostatakarzinome der Screening-Gruppe alle einer operativen oder Bestrahlungstherapie (mit all ihren Nebenwirkungen und Komplikationen) zugeführt wurden, ohne dass sich dies in einem Überlebensvorteil niederschlagen hätte, spricht man von Überdiagnose und Übertherapie. Also demonstrieren die Ergebnisse diese Studie ausschließlich Nachteile für das PSA-Screening des Prostatakarzinoms (kein Überlebensvorteil und mehr Interventionen). Einschränkend muss hier allerdings erwähnt werden, dass es eine sehr hohe Kontamination der Kontrollgruppe gab. Kontamination bedeutet hierbei, dass die Patienten der Kontrollgruppe auch PSA-Untersuchungen gemacht haben. Eine weiterführende Publikation zu der Studie spricht von Kontaminationen von 86% in der Kontrollgruppe (Pinksy PF, Prorook PC, Yu K, et al. Extended mortality results for prostate cancer screening in the PLCO trial with median follow-up of 15 years. Cancer 2017; 123: 592-599). Insofern kann kein großer Unterschied hinsichtlich der Prostatakarzinom spezifischen Mortalität erwartet werden. Die Autoren der weiterführenden Publikation kommen in ihren Schlussfolgerungen zu dem Ergebnis, dass diese Studie lediglich dazu herangezogen werden kann, keinen Vorteil eines systematischen versus eines opportunistischen (selbst initiirten) PSA-Screenings für das Prostatakarzinom zu zeigen. Außerdem entsprachen die Empfehlungen zur Anwendung des PSA-Wertes (Häufigkeit, Folgeuntersuchungen aufgrund erhöhter Werte, Art der Therapie etc.) nicht dem heutigen Vorgehen.

Den deutlichsten positiven Effekt für das PSA-Screening zeigt die Auswertung einer Unterkohorte der europäischen ERSPC Studie. Die erst kürzlich veröffentlichten 22-Jahre Daten der sogenannte Göteborg Studie (Frånlund M, Månsson M, Godtman RA, et al. Results from 22 years of follow-up in the Göteborg randomized population-based prostate cancer screening trial. J Urol 2022; 208: 292-300). Hier zeigte sich eine 41%ige Reduktion des Risikos an einem Prostatakarzinom zu versterben der Screening-Gruppe gegenüber der Nicht-Screening-Gruppe. Lediglich 221 Männer mussten gescreent (numbers needed to screen, NNS) werden und 9 Männer behandelt (numbers needed to treat, NNT) werden, um einen Sterbefall am Prostatakarzinom zu verhindern. Das sind deutlich gute Ergebnisse für das organisierte Screening des Prostatakarzinoms mit dem PSA-Wert. Zusätzlich können unter Anwendung der konservativen Behandlungsmethoden (active surveillance, watchful waiting) heutzutage die Nebenwirkungen der Therapie gesenkt werden.

Die U.S. Präventive Services Task Force (USPSTF) ist eine Kommission, welche die Vor- und Nachteile von Früherkennungsmaßnahmen für das amerikanische Gesundheitssystem untersucht und aufgrund dessen Empfehlungen abgibt. Diese Kommission hat nach Auswertungen der europäischen ERSPC und der amerikanischen PLCO Studie im Jahr 2012 eine deutliche Empfehlung gegen das Screening mit dem PSA-Wert im amerikanischen Gesundheitssystem gegeben (Screening for Prostate Cancer: U.S. Preventive Services Task Force Recommendation Statement. Virginia A. Moyer, MD, PhD, on behalf of the U.S. Preventive Services Task Force. Ann Intern Med. 2012;157:120-134). In den USA führte diese Negativempfehlung innerhalb kurzer Zeit zu einer deutlichen Abnahme der Screening-Untersuchungen für das Prostatakarzinom unter Anwendung des PSA-Wertes und in den folgenden Jahren zu einer ebenfalls deutlichen Reduktion neu diagnostizierter Prostatakrebserkrankungen (JemalA,FedewaSA,MaJ,etal.ProstatecancerincidenceandPSAtestingpatternsinrelationtoUSPSTF screening recommendations. JAMA. 2015;314(19):2054-2061). Eine unlängst erschienene Untersuchung des Auftretens von fortgeschrittenen und metastasierten Prostatakarzinomen in den USA zeigte einen deutlichen Anstieg dieser fortgeschrittenen Prostatakrebserkrankungen in zeitlichem Zusammenhang mit den Negativempfehlungen bezüglich des PSA-Screenings durch die USPSTF (Desai MM, Cacciamani GE, Gill K, Zhang J, Liu L, Abreu A, Gill IS. Trends in Incidence of Metastatic Prostate Cancer in the US. JAMA Netw Open. 2022 Mar 1;5(3):e222246. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.2246 . PMID: 35285916 ; PMCID: PMC9907338) . Dies mag ein Hinweis darauf sein, dass diese Empfehlungen der USPSTF wohl nicht zu einer Steigerung des Patientenwohles beigetragen hat. Die USPSTF hat daraufhin ihre Negativempfehlung zum PSA basierten Screening für das Prostatakarzinom im Mai 2018 etwas gelockert (Fenton JJ, Weyrich MS, Durbin S, Liu Y, Bang H, Melnikow J. Prostate-Specific Antigen– Based Screening for Prostate Cancer: A Systematic Evidence Review for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 154. AHRQ Publication No. 17-05229-EF-1. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality; 2018).

Die Qualitätskontrolleure des gesetzlichen deutschen Gesundheitssystems (IQWiG, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) kommen in ihrem Abschlussbericht Nr. 905 zum Thema Prostatascreening mittels PSA-Test vom 02.06.2020 weiterhin zu dem Urteil, dass der (laut Bericht) nachgewiesene Nutzen, nämlich das einige Männer von Metastasierung und Tod durch das Prostatakarzinom verschont werden, den Schaden von falsch-positiven Testergebnissen (Männer mit auffälligem Testergebnis, jedoch ohne Prostatakarzinom), Überdiagnose und Übertherapie (s.o.) nicht aufwiegen kann (https://www.iqwig.de/projekte/s19-01.html). Daher ist der PSA-Test im gesetzlichen deutschen Gesundheitssystem in der Früherkennungsuntersuchung nicht vorgesehen und wird nicht finanziert. Dies im Gegensatz zu dem amerikanischen Vorgehen und zu dem Vorgehen in vielen anderen Ländern Europas und der Welt.

Unserer Meinung nach resultiert aus dieser nicht-Finanzierung des PSA-Wertes in der Früherkennungsuntersuchung des Mannes noch ein weiteres großes Problem. Denn der PSA-Wert wird aktuell in Deutschland als individuelle Gesundheitsleistung (IGEL) angeboten. Dies bedeutet, dass jeder Arzt (Urologe, Allgemeinmediziner, Orthopäde, Dermatologe, Gynäkologe etc.) diesen Wert bei seinen Patienten bestimmen lassen kann (vorausgesetzt der Patient bezahlt diese Bestimmung aus eigener Tasche). Nun ist der PSA-Wert, wie bereits klar geworden sein dürfte, in seiner Interpretation nicht ganz einfach und nicht frei von Fallstricken. Diesen Laborwert als den wichtigsten Marker des häufigsten Karzinoms des Mannes als individuelle Gesundheitsleistung ohne ein gewisses Anforderungsprofil an den untersuchenden Arzt oder Qualitätskriterien anzuwenden, empfinden wir als sträflich nachlässig. Die Interpretation des PSA-Wertes, sei es in der Screening-Situation oder auch im Verlauf einer Prostatakarzinom-Therapie, ist ein komplexes Thema, welches Erfahrung und umfängliches Spezialwissen erfordert. Außerdem wird die Anwendung des PSA-Wertes in diesem Setting nicht zu einer Verbesserung der Versorgungsdaten unter Anwendung des PSA-Wertes führen.

Die Früherkennungsuntersuchung des häufigsten Karzinoms des Mannes ist im gesetzlichen deutschen Gesundheitssystem nur durch die Abtastung der Prostata (digital rektale Untersuchung, DRU) repräsentiert. Dies, obwohl die aktuelle deutsche S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom in ihren Hintergrundinformationen zu Empfehlung 4.2 schreibt, dass die alleinige digital-rektale Untersuchung zur Früherkennung nicht als geeignet angesehen wird (aktuelle deutsche S-3 Leitlinie, Hintergrundtext zu Empfehlung 4.2, Seite 37-38). Vielmehr wird die DRU als sinnvolle zusätzliche Untersuchung in der Früherkennung angesehen. Nach unserer Meinung ist diese klinische Untersuchung nur in sehr wenigen Fällen in der Lage, ein Prostatakarzinom frühzeitig zu identifizieren. Den größten klinischen Nutzen hat die Tastuntersuchung bei der Einordnung eines auffälligen PSA-Wertes. Die Medizin ist keine exakte Wissenschaft, daher basiert die Diagnosefindung zumeist auf Redundanzen. Weisen mehrere Untersuchungsergebnisse auf eine Diagnose hin, so wird sie immer wahrscheinlicher, bis sie schließlich bewiesen ist. So kann eine Tastuntersuchung der Prostata einen auffälligen PSA- Wert in Richtung Karzinomdiagnose unterstützen (z.B. durch eine knotige Verhärtung der Prostata) oder ihn eher in Richtung anderer, gutartiger Ursachen verschieben (deutlich vergrößerte, aber allseits weiche Prostata). Das deutsche Gesundheitssystem verlässt sich bei der Früherkennung des häufigsten Karzinoms des Mannes jedoch lieber ausschließlich auf die alleinige Tastuntersuchung. Denn auch bei suspektem PSA- Wert, der in der Intention einer Früherkennungsuntersuchung unternommen wurde, darf dieser auch rückwirkend nicht zu Lasten des gesetzlichen Kassensystems abgerechnet werden. Auch bildgebende Untersuchungen, wie Ultraschalldarstellungen der Prostata (oder anderer urologischer Organe, wie beispielsweise der Nieren) sind in der Früherkennungsuntersuchung des Mannes im deutschen gesetzlichen Gesundheitssystem nicht vorgesehen.

Unserer Meinung nach ist die regelmäßige Früherkennungsuntersuchung des Mannes eine wichtige Voraussetzung für die gesunde Alterung des Mannes und die Erhaltung der Lebensqualität im Alter. Die Prostata verursacht häufig (völlig unabhängig von dem sehr häufigen Prostatakrebs) Befunde, welche die Lebensqualität im mittleren und höheren Lebensalter deutlich einschränken. Zu nennen sind hier beispielsweise Restharnbildung, häufiges Wasserlassen, dranghaftes Wasserlassen, nächtliches Wasserlassen u.v.m., welche auch zu schwerwiegenden Krankheitsbildern, wie Blasen- und Nierenfunktionsverlust, führen können. Weiterhin ist die frühzeitige Aufdeckung eines Prostatakarzinoms die Grundlage für effektiv kurative Konzepte, wie Operation oder Bestrahlungstherapie, kurativ konservative Konzepte, wie der „active surveillance“ und nicht zuletzt des wissenschaftlichen Fortschritts. Daher hat sich das Institut für Prostataüberwachung der modernen Früherkennungsuntersuchung in Anlehnung (jedoch nicht darauf begrenzt) die wissenschaftlichen Leitlinien verschrieben. Wir sehen die wissenschaftlichen Leitlinien nicht als starre Verhaltensgebote oder gar als Diktat der Kostenträger, sondern als Orientierungshilfe und im Zweifel valides Instrument zu Entscheidungsunterstützung. Das Maß des Handelns des Institutes für Prostataüberwachung sind Risikostruktur, Befunde, Symptome, wissenschaftliche Aspekte und die Meinung des informierten Patienten. Dieser Umgang mit Leitlinien und Patienten wurde unlängst in einem Kommentar von versierten Kollegen treffend beschrieben (Point- Counterpoint: Screening vs Diagnostic Testing: Focus on the Patient, Not Dogma. Richard J. Boxer, and Michael A. Friedman; Urology Practice, 10.107-108, 2023).

Bisher werden insbesondere die aktiven Behandlungsmethoden wie Operation und Bestrahlungstherapie in Schwerpunktzentren mit qualitativ hochwertiger und wissenschaftlicher Ausrichtung abgedeckt. In diesem Bereich wird ein qualitativ hochwertiges und zentriertes medizinisches Angebot von Politik, Fachgesellschaften und Patienten gefordert. Die komplexe Früherkennungsuntersuchung des Prostatakarzinoms wird in der breiten Fläche ohne besondere Qualitätskontrollen, Zentrierung oder wissenschaftliche Ausrichtung abgedeckt. Dies, obwohl dabei viel verpasst und verschleppt werden kann. Hier möchte das Institut für Prostataüberwachung einen neuen Qualitätsstandard setzen, ein Leuchtturm für diese wichtige medizinischen Maßnahme und deren wissenschaftliche Weiterentwicklung darstellen und das Patientenwohl fördern.

Sie benötigen unsere Hilfe.
Sprechen Sie uns an - we are here to help.

Jetzt Termin buchen

Wir vergeben ausschließlich individuelle Termine. Kontaktieren Sie uns unverbindlich per Telefon oder per Mail. Wir helfen Ihnen gerne weiter.

+49 (0) 69 / 9 20 20 650